Die Kulturwissenschafterinnen Christina von Braun und Bettina Mathes bieten eine material- und facettenreiche Studie zur symbolischen Geschlechter- und Wissensordnung in den drei monotheistischen Kulturen des Judentums, des Christentums und des Islam, den drei „Religionen des Buches“.
Ein Schwerpunkt der detailreichen Analyse liegt auf dem Verhältnis von Körper und Schrift in den Kulturen des Westens und des Ostens.
„Orient und Okzident gemeinsam ist die Tatsache, daß sie ihre ungelösten Probleme an den weiblichen Körper verweisen: Die Erregungen um das Kopftuch erzählen von der symbolischen Kastration, die der männliche Körper durch die Gleichsetzung von Männlichkeit mit der abstrakten ‚Potenz‘ der Schrift erfahren hat. Der Konflikt der Geschlechterordnungen wird gerne als ein Konflikt um ‚die Rolle der Frau‘ gesehen. In Wirklichkeit stoßen zwei Konzepte von Schriftlichkeit, Männlichkeit und zwei Wissensordnungen aufeinander.“ (S. 148)
Alle drei ‚Religionen des Buches‘ – das Judentum, das Christentum und der Islam – basieren auf alphabetischen Schriftsystemen. In der Geschlechterordnung der drei Kulturen repräsentiert das Männliche das Gesetz und die Schrift, das Weibliche verkörpert die Leiblichkeit und die Oralität. Je nach Schriftsystem nimmt dieses Verhältnis jedoch unterschiedliche Gestalt an.
Die arabische Schrift besteht ursprünglich aus einem reinen Konsonantenalphabet – die Vokale müssen ergänzt werden, sie kann sie nur lesen, wer sie auch sprechen kann – und schätzt darum die mündlichen Traditionen, die Rezitation und den gesprochenen Vortrag hoch.
Das griechische Alphabet hingegen erfasst die Sprache völlig (Konsonanten ebenso wie Vokale) und begründet darum einen sehr hohen Grad an Abstraktion, an Unabhängigkeit vom Körper sowie die Vorstellung, daß es nur eine (berechenbare, unwiderlegbare, der Entleiblichung verpflichtete) Form von Logik und wissenschaftlicher Wahrheit geben kann.
Der Hierarchie der Schrift über die gesprochene Sprache im westlich-christlichen Denken entspricht das Verhältnis zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit in der symbolischen Ordnung der Geschlechter. Zudem kommt die Vorstellung von Weiblichkeit als dem ‚dunklen Kontinent‘, den es zu entdecken, zu entschleiern gilt.
„Das Kreuz mit dem Kopftuch“
Das Buch liefert das theoretische Fundament zur kontroversen „Kopftuchdebatte“, eine materialreiche Argumentation, um gegenwärtigen Vorurteilen und Vorverurteilungen Wissen entgegenzusetzen. Die Autorinnen zeichnen die vielschichtigen – und teilweise einander widersprechenden – Traditionen des Schleiers in der christlichen und der islamischen Kultur mit einem Reichtum an Quellenmaterial nach.
„Blickmacht und entblößter Frauenkörper“
Was haben Schleier und Hymen gemeinsam, was verbirgt der Schleier, welche Auszeichnung kann er bedeuten, kann er gar Botschaften des politischen Widerstands gegen Unterdrückung transportieren und warum ziehen sich westliche Frauen einer mehr und mehr Nacktheit gebietenden Mode entsprechend so bereitwillig aus?
Ich greife eine ebenso provokante wie ergiebige These der Autorinnen heraus: Westliche Frauen (und Männer) projizieren das Unbehagen an ihrer eigenen Kultur auf Frauen mit Kopftuch und stellen sich selbst dadurch „befreit“, gleichberechtigt und emanzipiert dar. „Wir“ im Westen hätten doch die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen längst abgeschafft, „wir“ könnten darum die rückständigen Kopftuch tragenden Frauen eines besseren belehren. Die Autorinnen wenden den kritischen Blick zurück auf die Urteilenden. Was sagen meine Urteile über das Fremde über mich selbst aus? Sie verweisen auf mein eigenes Verworfenes, meine eigenen abgespaltenen Anteile. In Österreich, wo H.C. Strache seine „Befreit die islamischen Frauen von ihren Kopftüchern“-Parolen für seine Hetzkampagnen verwendet, hat diese These eine starke und aktuelle Brisanz.
Eine Funktion dieser Rhetorik ist die Ablenkung von eigenen Problemen wie der wachsenden sozialen Ungleichheit (zunehmend weiter auseinanderklaffende Lohnschere, gläserne Decke der beruflichen Hierarchien) und der nach wie vor herrschenden Gewalt zwischen den Geschlechtern in Paarbeziehungen durch die Projektion des Machtungleichgewichts auf „die Anderen“.
„Der ‚Ehrenmord‘ – östlich und westlich“
Die Morde verlassener Ehemänner an ihren Ehefrauen (und oft auch Kindern) in westlichen Ländern sind den „Ehrenmorden“ durchaus vergleichbar, verursachen jedoch keinen annähernd ähnlichen medialen Aufruhr sondern müssen sich mit kleinen Pressemeldungen als Nebensächlichkeit begnügen.
„Geld, Gold und Geschlecht“
Spannend auch die Abhandlungen zum Verhältnis von Ökonomie und weiblichem Körper: Prostitution, Frauenhandel und Ausbeutung von Frauen durch die Sexindustrie geben dem körperlosen Geld einen fassbaren (weiblichen) Körper, dieser dient als eine Art Wirklichkeitsgarant für das nur virtuellen Charakter besitzende Geld.
BETTINA ZEHETNER