Ein Tatkräftiges Mutmach(Erinnen)-Buch Für Selbstbestimmte Zielsetzungen Von Frauen
Das Buch beeindruckt durch die kompetente Praxisanbindung. Es zeigt in vielen Beispielen aus der feministischen und frauenspezifischen Beratungspraxis, wie Wege aus persönlichen Krisen, die sehr viel mit dem gesellschaftlichen „Kleinmachen“ von Frauen – sei es durch geringere Bezahlung in vielen Branchen, sei es durch die be- und oftmals individuell erdrückende Last von Verantwortung für Kinder, Familienangehörige und zu Pflegende – zu tun haben. Besonders gelungen ist die Gliederung der Fülle von Aspekten quer durch verschiedene Lebensabschnitte von Frauen (u.a. Familiengründung, Berufsergreifung, weibliche Figur(en) und physisch-psychische Selbsteinschätzungen von Frauen), konkret zu Beziehungen und Trennungen, Geld und Macht, Gewalt, Körper und die Kraft des Neinsagens, die in einer sehr durchdachten Kapitelgliederung feministische Theorie(n) zur Basis eines Handbuchs für die Bewältigung von Lebens- und Sinnkrisen werden lassen. Diesen Geniestreich zu Wege zu bringen, ist den multiplen Kompetenzen und der aufschreibenden Leistung der Autorin Bettina Zehetner zu verdanken. Zehetner ist seit einigen Jahrzehnten sowohl als Lehrende an Universitäten und weiteren Bildungseinrichtungen, als auch in der Beratungspraxis bei „Frauen* beraten Frauen*“ in Wien und als Fortbildungsleiterin in der feministischen (Online-)Beratung tätig. Die dargestellten Handlungsoptionen sind nie eindimensional oder manipulativ-direktiv verfasst, sondern lassen stets eine Fülle an Möglichkeiten erkennen, wie Frauen ein „mit sich zufrieden sein“, ein eigenständiger Weg und eine eigenverantwortlicheSelbstbehauptung und Platzbeanspruchung besser ermöglicht wird (als es in einer streng zweigeteilten, geschlechterdichotomen Weltsicht mit einer Zuordnung von Frauen in die Sphäre des Häuslichen, und einer Verortung von Männern im Öffentlich-Politischen, oftmals befreit von u.a. familiären Alltagsverstrickungen, Pflege- und Sorgetätigkeiten, erleb- und denkbar ist).
Das Buch zeigt individuelle Wege und bietet (Denk)Material für das Überschreiten von vormals Frauen zugedachten Zuständigkeitsbereichen auf der Basis einer Fülle von Erfahrungswissen aus der Beratungspraxis. Die Autorin macht gleich zu Beginn klar: „Sie befinden sich ziemlich sicher in einer feministischen Beratung, wenn die Beraterin fragt, wer bei Ihnen zu Hause die Wäsche wäscht.“ (S.9). Sowie: „Sie befinden sich ziemlich sicher NICHT in einer feministischen Beratung, wenn Sie auf die Schilderung eines Gewalterlebnisses die Frage ‚Haben sie ihn irgendwie provoziert?‘ oder den Satz ‚Zum Streiten gehören immer zwei‘ hören. Im Buch wird das stete und konsequente Ziel verfolgt, über normierende Rollenzuschreibungen hinausweisende Handlungsoptionen zu eröffnen und (Wahl)Freiheiten zu ermöglichen. Theoretische Grundlagen werden sehr verständlich und klar nachvollziehbar in Verbindung mit Beispielen aus der Beratungspraxis dargestellt und bereichern das Buch mit feministischem Grundlagenwissen. Traditionelle binäre geschlechtsspezifische (Wert)Vorstellungen werden auf der Basis von Theorie(n) und von praktischem Beratungs- und Erfahrungswissen in ihrer niederdrückenden Macht (gefolgt von Ohnmachtsgefühlen) entlarvt. Vorschläge für persönliche Ermächtigung(en) werden zwar als nicht (immer) einfach im Treffen von individuellen Entscheidungen vorgestellt, jedoch als notwendige Grundlage am Weg zu neuen Freiheiten und selbstbestimmter Lebensführung. Im Denken, Erleben und Beschreiben von Gefühlen, eigenen Lebensvorstellungen und (zukünftigen) Zielen.
Das Buch eröffnet im Weiteren bildungs-, familien-, gesundheits- und sozialpolitische Fragestellungen, die insofern anstehen, als sie bessere Rahmenbedingungen für Frauen, Kinder, Familien schaffen können. Dies gilt umso mehr inPhasen von Home-Office und geschlossenen Bildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen in Zeiten der Covid19-Virus-Verbreitungsprävention und gesetzlich verordneten Ausgangssperren (dt. Übersetzung von Lockdown), die einen Backlash an gender-und frauenspezifischen Erwartungen begünstigt haben. Diese steten Gefahren sind im Schlusswort des Buches skizziert (S.126-128). Umso erfreulicher ist daher eine internationale Auszeichnung, die dem Beratungsteam von Frauen* beraten Frauen* zu Teil wurde: „Die Online-Beratung von Frauen* beraten Frauen‘ wurde am 6. April 2020 als internationales best-practice Beispiel bei häuslicher Gewalt in Zeiten der Corona-Quarantäne in den Abendnachrichten des japanischen Nationalfernsehens genannt.“ (S. 127).
Dass eine Mitarbeiterin dieses unermüdlich wirkenden und werkenden (Beratungs-)Teams nun auch einhoch relevantes, alltags- und lebenspraktisches Handbuch für Frauen veröffentlicht hat, ist ein weiterer Beleg für die hohe Kompetenz von frauenspezifischer und feministischer Beratung in Wien und in Österreich. Chapeau!
GERLINDE MAURER