Sorority (Hg.)

No More Bullshit!

Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten

„Du bist ja hysterisch!“
„Sei nicht so sensibel!“
„Verstehst du keinen Spaß?“
„Feminismus ist mir zu extrem!“
„Der Pay Gap ist ein Mythos.“
„Karrieregeile Rabenmutter“
„Wir haben keine Frau für das Podium gefunden.“
„Frauen wollen ja gar nicht in Führungspositionen.“

Wenn diese Sätze bei Ihnen Augenrollen auslösen, dann brauchen Sie dieses Buch. Wenn Sie Stammtischweisheiten, Weiblichkeitsmythen und tradierte Vorurteile hinterfragen wollen, dann brauchen Sie dieses Buch. Und wenn Sie sich einfach nur denken: „Bullshit!“, dann brauchen Sie dieses Buch sogar unbedingt.

Dieses Buch bietet konkretes Werkzeug, wie auch versteckter Bullshit entlarvt und zielsicher, elegant und humorvoll entkräftet werden kann. Gehört in jede Handtasche!

Die Sorority ist ein unabhängiges Netzwerk für Frauen und all jene, die sich als solche begreifen. Ihre Mitglieder* kommen aus Kunst, Kultur, Wissenschaft, Politik, Technik, Medien oder der Wirtschaft, sind unselbständig oder selbständig beschäftigt. Die Sorority imitiert Männerbünde absichtlich ironisch und meint, dass Frauen* lange genug überhört oder stumm gehalten worden sind. Sie versteht sich als Plattform für alle, die sich mehr feministische Kommunikation rund um Professionelles wünschen.
2017 wurde die Veranstaltungsreihe „No More Bullshit!“ ins Leben gerufen, die in unterschiedlichen Eventformaten (Podiumsdiskussionen, Workshops, Impulsvorträgen etc.) Geschlechterklischees mithilfe von Fakten oder ironischen Interventionen dekonstruiert. Daraus entstand dieses Handbuch. Feministisch. Praktisch. Gut!


„Karrieregeile Rabenmutter!“
Bullshit gekontert von Bettina Zehetner, Frauen* beraten Frauen*

Rabeneltern sind fürsorgliche Eltern, die sich die Fütterungsarbeit partnerschaftlich teilen. Anders beim Menschen: Eine Mutter soll die Kinder betreuen, versorgen, pflegen, erziehen, trösten, mit ihnen lernen, rund um die Uhr für sie da sein und am besten auch noch Erholungsgebiet für den tagsüber draußen in der Welt tätigen Mann sein. „Du vernachlässigst mich!“ lautet ein häufiger Vorwurf von Partnern, die die Zuwendung ihrer Frauen nicht teilen wollen und sich durch eigene Kinder aus dem Nest verstoßen fühlen. Eine Mutter hat selbstlos ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, nie wütend zu sein, ewig nährend und gewährend, bedingungslos liebe- und verständnisvoll. Sie hat nichts für sich zu wollen, schon gar keine Karriere, die sie womöglich einem fraglos viel qualifizierteren Mann wegnehmen würde, der ja seine Familie ernähren muss. Frauen sollen Männer unterstützen, nicht in Konkurrenz mit ihnen treten. Frauen sollen gefühlsbetont und fürsorglich sein, sie sollen beziehungsorientiert und an den Bedürfnissen anderer ausgerichtet sein.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Erwartungen, die wir verinnerlicht haben

Wir leben in widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnissen: Wir reden zwar davon, dass Frauen und Männer längst gleichberechtigt wären, dabei werden aber die Lohnschere, unbezahlte Sorgearbeit (Care-Work), Gewaltverhältnisse usw verleugnet. Es wird eine Pseudofreiheit suggeriert, obwohl traditionelle Rollenanfor-derungen weiterhin gelten und Druck machen: Die Soziologin Angelika Wetterer nennt das die „rhetorische Modernisierung“, also eine bloß rhetorische Gleichheit bei fortbestehender Ungleichheitspraxis, wir reden anders als wir handeln. Die Aussage „Mein Mann hilft eh mit“ ist eine völlig andere Konstellation als die Aussage „Wir teilen uns unsere Hausarbeit“.

Gut bezahlte und unbezahlte Arbeit ist nach wie vor sehr ungleich zwischen Frauen und Männern verteilt (Stichwort Teilzeitquote oder Väter in Karenz). Tatsache ist: An Frauen werden neue Ansprüche gestellt – etwa die unbedingte Flexibilität am Arbeitsmarkt, die Pflicht zur eigenständigen Existenzsicherung bis hin zur privaten Pensionsvorsorge – während die alten Ansprüche der Hauptverantwortung für Haus- und Sorgearbeit weiterhin gelten. Laut Zeitverwendungsstudien werden rund zwei Drittel der unbezahlten Arbeit von Frauen erledigt (zB Statistik Austria 2009). Die klassische Rollenverteilung hat also für beide Geschlechter immer noch sehr viel Gewicht, ein Gewicht, das sich auf die finanzielle Absicherung und die Karrieren von Frauen deutlich negativ auswirkt und für viele Alleinerzieherinnen und Pensionistinnen in die Armut führt. Das „Private“ ist also durch und durch politisch.

„In jeder Geste steckt die ganze Gesellschaft“, so kommentiert der Soziologe Jean-Claude Kaufmann das Wäsche Waschen, das viele Männer in dem Augenblick verlernen, indem sie mit ihrer Partnerin in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Das Zusammenziehen fördert ein Zurückfallen auf traditionelle Weiblichkeits- und Männlichkeitsnormen („Sie kann das halt besser, das mit der Wäsche“). Unbezahlte Sorgearbeit wird häufig von beiden Geschlechtern als „Liebesdienst“ betrachtet, eine Falle, die für Frauen besonders nach Trennungen eine eigenständige Existenzsicherung erschwert (Lebensgefährt_innen haben übrigens keinen Unterhaltsanspruch von ihren Partner_innen). Es „ergibt“ sich nicht einfach, dass die Mutter beim Kind zuhause bleibt und den Vater von seiner Sorgearbeit entlastet – gleiche Rechte bedeuten auch gleiche Pflichten. Mutter und Vater sind zu gleichen Teilen verantwortlich für die Kinderbetreuung, sinnvoll ist hier, von „Elternteil“ zu sprechen, damit klar wird, dass sich keine geschlechtsspezifischen Stereotype einschleichen sollen. Eine Herausforderung ist dabei die Verinnerlichung gesellschaftlicher Anforderungen und Idealbilder: „Ich will eine gute Mutter sein, ich will entsprechen, genügen, ‚normal’ sein, eine ‚richtige Frau’ sein, ich will funktionieren“. Die Disziplinierung von außen ist hier oft gar nicht mehr nötig (auch wenn Kindergärten nach wie vor meist nur die Telefonnummern der Mütter wählen), wir haben diese Zwänge schon verinnerlicht und bearbeiten uns längst selbst: das Gebot der permanenten Selbstoptimierung. Wir selbst sind unsere strengsten Richterinnen und Antreiberinnen. Eigenständige wirtschaftliche Absicherung, berufliche Karriere, Selbstverwirklichung, ewig fit, jung, gesund und schön bleiben… alles gleichzeitig kann sich nicht ausgehen, Erschöpfung ist die Folge. Das „unternehmerische Selbst“ beutet sich selbst aus, die „Powerfrau, die alles schafft“ ist eine Illusion, die uns im Hamsterrad strampeln lassen soll.

In der Frauen*Beratung ist ein sehr häufiges Thema das schmerzhafte Gefühl, „nie gut genug“ zu sein, als Mutter, als Frau, als Berufstätige – den vielen einander widersprechenden Anforderungen gerecht werden zu wollen kann krank machen („Realitäts-Killer-Ideale“ nannte das eine der Ratsuchenden). Emanzipatorische Beratung will dazu anregen, Anforderungen in Frage zu stellen, anstatt allen Normen zu entsprechen und reibungslos zu funktionieren. Wichtig ist, eine eigene Haltung gegenüber diesen Ansprüchen zu entwickeln und das eigene Leben möglichst selbstbestimmt zu gestalten. Feministische Beratung kann dabei unterstützen: www.frauenberatenfrauen.at Wir wollen Frauen dazu ermutigen, den enormen Druck, den das utopische Ideal „gute und glückliche Mutter“ verursacht, zur Sprache zu bringen. Ein feministischer Blick will die Sicht auf die Realität schärfen. Sie will einen Ausweg bieten: Raus aus dem individuellen Leiden jeder einzelnen für sich allein – dem Gefühl „ich genüge nicht, ich bin schuld, ich schaffe das alles nicht“ – zum Erkennen von gesellschaftlichen Zusammenhängen, Solidarität und mehr Handlungsfreiheit.

Doppelstandards: Der durchsetzungsfähige Mann und die aggressive Frau

Nach wie vor wird dasselbe Verhalten bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet: Ein Mann, der zielstrebig seine berufliche Karriere verfolgt, gilt nicht als Rabenvater, sondern als normaler Mann. Er bekommt Anerkennung für dieses Lebensmodell. Niemand fragt, wer bei ihm zuhause das kranke Kind betreut. Wo ein Mann „rational“ argumentiert, gilt eine Frau als „kalt“ (Hillary Clinton), wo ein Mann zielstrebig und durchsetzungsstark agiert, wird einer Frau „Aggressivität“ attestiert. Selbstbewusstes Auftreten wirkt bei Frauen „bossy“, eine laute Stimme als „penetrant“. Ein Mann „kritisiert“, eine Frau „keift“. Konflikte zwischen Frauen werden verächtlich zum „Zickenkrieg“ erklärt, für den es ebensowenig ein begriffliches Pendant für den Streit unter Männern gibt wie ein Väter betreffendes Gegenstück zum „unmütterlichen“ Verhalten. Übrigens: Als Mutter können Sie es in diesem stereotypen Schema nur falsch machen. Die Alternative zur Rabenmutter wäre dann die überfürsorgliche Glucke, die Helikoptermutter, die ihre Kinder erstickt, weil sie kein eigenes Leben hat. In diesem Sinne: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert – ein Plädoyer für Frauen*solidarität!

Ökonomie, Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit:
„Was würden Sie mir zahlen, wenn ich ein Mann wäre?“

Jede Frau* braucht eine Existenzsicherung. Jahrelange unbezahlte Kinderbetreuung führt bei einer Trennung rasch zu Knappheit und Altersarmut. Solange es klar ist, dass immer die Frauen in Karenz gehen, wird sich weder an der Lohnschere noch an der gläsernen Decke viel ändern. Auch hier werden Frauen gerne im double bind stillgestellt: Ein geringeres Gehalt als der männliche Kollege mit demselben Aufgabenbereich wird gerechtfertigt mit dem zynischen Satz, sie hätte halt weniger gut verhandelt. Wenn sie dann verhandeln will, wird sie als „lästig“ abgetan. Bescheidenheit gezieme sich doch mehr als eine fordernde Haltung. Sollte sie in Zeiten wie diesen nicht ohnehin froh sein über ihren Job? Im Gefasel über die angeblich so tolle „Wahlfreiheit“, zuhause bei den Kindern zu bleiben oder berufstätig zu sein, wird geschwiegen über das Armutsrisiko, das dieses „Zuhausebleiben“ langfristig bedeutet – abgesehen vom Machtgefälle in der Beziehung, da doch derjenige, der bezahlt, meist auch anschaffen will und die Anerkennung für Sorgearbeit gering bis nicht vorhanden ist. Es ist zu hoffen, dass die Vorarlberger „Herdprämie“, die Frauen dafür belohnt, wenn sie keinen Kindergartenplatz in Anspruch nehmen, kein Erfolg wird. Die Einsamkeit des zu zweit zuhause Sitzens tut weder Kind noch Mutter gut. Kinder brauchen andere Kinder, um sich sozial zu entwickeln; Erwachsene brauchen andere Erwachsene, um sich jenseits von Windel und Bilderbuch auszutauschen.

Eine Regierung, die die Differenz zur Pflicht machen will (“Die Besonderheit beider Geschlechter macht den Mehrwert für die Gesellschaft sichtbar. Die Verschiedenheit von Mann und Frau zu kennen und anzuerkennen, ist ein Bestandteil menschlichen Lebens und damit unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden.“ (Regierungsprogramm 2017-2022) will damit Frauen wieder auf „ihren“ angestammten Platz verweisen. Soweit die düstere Gegenwart, nun auf in die wünschenswerte Zukunft! Sistahood is powerful!

Fakten-Fazit

1) Die ungleiche Verteilung von bezahltem Beruf und unbezahlter Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern schadet allen Beteiligten: Kinder lernen dadurch einschränkende Normen, Väter entwickeln weniger Nähe zu ihren Kindern und für Mütter ist die schlechtere Existenzsicherung eine potenzielle Armutsfalle. Alleinerziehende – zu 93% Frauen – sind mit 42% die Gruppe der Erwerbstätigen mit der höchsten Armutsgefährdung, Frauen erhalten 38% weniger Pension als Männer (Österreich).
2) Doppelstandards in der Bewertung schränken alle Geschlechter ein: Frauen können und sollen ihre beruflichen Fähigkeiten anwenden, Männer können und sollen auch Kinder betreuen.
3) Mädchen und Burschen, Töchter und Söhne brauchen kein Bild von „Mama drinnen – Papa draußen“, sondern positive Role-Models, um ihr Leben und ihre Berufslaufbahn frei gestalten zu können.

BETTINA ZEHETNER

No More Bullshit! Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten

Kremayr & Scheriau 2018