„In Anerkennung der Differenz. Feministische Beratung und Psychotherapie“ wurde von vier Mitarbeiterinnen von „Frauen beraten Frauen“ – Traude Ebermann, Julia Fritz, Karin Macke und Bettina Zehetner – anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Wiener Frauenberatungsstelle herausgegeben.
Gleich zu Beginn: ich habe dieses Buch mit großem Interesse und Freude gelesen. Ich war immer wieder beeindruckt von der Vielfalt, dem hohen fachlichen Niveau und dem breiten Spektrum, das dieses Buch umfasst. Es enthält 20 Beiträge von 18 Autorinnen, sowie einen Text von Marlene Streeruwitz und Gedichte von Elfriede Gerstl. Dies macht es zu einer kurzweiligen Lektüre.
Dem Bereich „Feministische Beratung“ sind mehrere Artikel von Ruth Großmaß, Agnes Büchele, Sylvia Groth und Felice Gallé, Bettina Zehetner und Marion Breiter gewidmet. Breit gefächert gehen die Autorinnen auf Themen wie „Frauenberatung im Spiegel von Beratungstheorie und Gender-Diskursen“, Gewalt gegen Frauen, Frauengesundheitsbewegung, Trennung und Scheidung, Online-Beratung, sowie auf die immense Bedeutung von Vernetzung für autonome Frauenberatungsstellen ein.
Neben der „Feministischen Beratung“ ist die „Feministische Therapie“ der zweite Schwerpunkt dieses Buches. Hier ist anzumerken, dass es die feministische Psychotherapie nicht gibt. „Es handelt sich eher um eine vor die Methodik gesetzte Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ (Sabine Scheffler, S.31).
Therapeutinnen verschiedener Therapieschulen beschreiben das Unterschiedliche sowie das Gemeinsame ihrer theoretischen und praktischen Arbeit und hinterfragen ihre jeweilige Methode aus einem feministischen Blick. (Brigitte Schigl – Integrative Gestalttherapie, Traude Ebermann – Katathym Imaginative Psychotherapie, Anna Koellreuter – Psychoanalyse, Sabine Kirschenhofer – Systemische Paartherapie, Marietta Winkler – Personenzentrierte Psychotherapie).
Alice Pechriggl sowie Regina Trotz widmen sich in zwei Beiträgen der weiblichen Identität in sozialen Zusammenhängen. Sie beschreiben die in Veränderung begriffenen Geschlechtsidentitäten sowohl aus der Sicht der Gruppenpsychoanalytikerin als auch aus der der Gruppendynamikerin.
Es ist recht verwunderlich, dass es – trotz der zahlreich publizierten Theorie – immer noch an der Eigeninitiative einzelner engagierter Frauen (und Männer?) liegt, sich für ein Reflektieren des Geschlechterverhältnisses einzusetzen. „In der Praxis ist es nicht gelungen, feministische Psychotherapie institutionell zu etablieren. Wir haben keinen Eingang gefunden in die Ausbildungssysteme.“ (Sabine Scheffler,S.31) Daher fühlen sich viele engagierte Frauen allein und als Einzelkämpferinnen in ihrem Bemühen um eine Verbindung von feministischem Blick und Therapiemethode.
Für die KIP gibt hier Traude Ebermann wertvolle Impulse zur Integration des Genderthemas. Als Beispiele seien hier die Einführung der Motive „Muschel“ und „Amazone“ genannt. Das Ausmaß ihres wissenschaftlichen Rückhalts erschließt sich beim Lesen:„Es muss gefordert werden, dass in den Therapieausbildungen aller Schulen die Herstellungen von Geschlecht theoretisch beleuchtet, reflektiert und praktisch erfahrbar werden, da Psychotherapie als dritte Sozialisationsinstanz an der Bildung von Identität mitwirkt (vgl. Krause-Girth 2004).“ (Brigitte Schigl, S.146).
Neben den Themen der feministischen Beratung und Therapie zieht sich die Geschichte der Frauenbewegung als roter Faden durch dieses Buch. Es wird ein Bogen von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in eine mögliche Zukunft gespannt, der zeigt, wie viel Feministinnen erreicht haben. Gleich zu Beginn steht ein spannendes Gespräch zwischen Sabine Scheffler, Margot Scherl und Christina Thürmer-Rohr. Stellvertretend für die Pionierinnen der 2.Frauenbewegung der 1970er Jahre erinnern sie sich gemeinsam der Anfänge und schildern ihre Sicht der Entwicklung des Feminismus.
Julia Fritz benennt noch weitere Generationen frauenbewegter Frauen: die Initiatorinnen der Projektbewegung (Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen,…), die heute etwa 40-50 jährigen Frauen, die schon Frauen- und Mädchenprojekte und vereinzelt Frauenforschung an Universitäten vorfanden bis zu den Frauen, die nach 1970 und 1980 geboren wurden. Sie sind diejenigen, an die die Zukunftsvisionen der„Älteren“ gerichtet sind. Und auch da wird Differenz erkennbar: Sabine Scheffler spricht von einer „Atempause“ der feministischen Bewegung. „Solange es für die Widersprüche, die durch die linke Bewegung und durch die Frauenbewegung gesellschaftlich sichtbar geworden sind, keine gesellschaftliche Empörung und kein Ungerechtigkeitsempfinden gibt,… glaube ich, dass es so weiter geht.“ (S.37). Julia Fritz gibt ihr zwar zum Teil Recht, denn nach der derzeit vorherrschenden gesellschaftlichen Meinung sei individuell (fast) alles verwirklichbar. „Der Schritt von einem individualisierten Selbstverständnis zu einem politischen Programm sei sehr groß.“ (S.253). Andererseits beobachtet sie „parallel dazu auch ein buntes Mosaik an (feministischen) Aktivitäten:…interessante Bücher zum Thema von jungen Autorinnen,…feministische Weblogs, Grrrl Zines, Frauenradios…“ (S.253).
Auf Initiative der Frauenberatungsstelle reflektierten Expertinnen aus dem Raum Wien gemeinsam ihre feministische Positionierung und deren Wandel im Laufe der Zeit. Beeindruckend ist hier schon allein die Auflistung der Arbeitsfelder, in denen Frauen frauenspezifische Aspekte und Probleme mit berücksichtigen – besonders wenn man die Tatsache bedenkt, dass es sich hierbei nur um einen kleinen Ausschnitt von Fachfrauen handelte. Die Herausgeberinnen (Karin Macke, Bettina Zehetner, Traude Ebermann, Julia Fritz) verfassten im Anschluss daran persönliche Texte zu diesem Austausch.
Spätestens an dieser Stelle wird die wichtige Rolle der Frauenberatungsstelle deutlich, die sie seit mittlerweile 30 Jahren nicht nur für ihre zahlreichen Rat suchenden Frauen, sondern auch für viele Kolleginnen spielte und spielt.
„Also: Genug gemangelt!…Was in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurde, hat Qualität und kann weitergegeben werden.“ (Regina Trotz, S.224)
Die Vielfältigkeit macht dieses Buch für mehrere Zielgruppen so wertvoll:
- durch das hohe fachliche Niveau für alle Frauen und Männer, die in Beratung oder Psychotherapie arbeiten,
- für alle Frauen, die sich der Frauenbewegung zugehörig fühlen,
- für alle historisch und an gesellschaftlichen Fragen interessierte Frauen und Männer.
Ich möchte an dieser Stelle den Herausgeberinnen, Autorinnen und Mitwirkenden dieses Buches, aber auch allen anderen Frauen danken, die Theorie und Praxis der Frauenbewegung weiter tragen. Sie leisten wertvolle Veränderungsarbeit für eine tolerantere Welt, in der mehr Vielfältigkeit lebbar ist.
Am Ende des Buches bleibt mir die Neugier auf die Wege, die die jungen Frauen einschlagen werden, da diese Generation vergleichsweise weniger zu Wort gekommen ist. Es werden und müssen andere/eigene sein! „Die jüngere Generation hat andere Strategien, ihren Feminismus zu vertreten. Es wäre nicht gerecht, dies als vergleichsweise braver, weniger vorlaut zu beschreiben, als dies die Generation der Mütter bzw. Großmütter taten, noch tun mussten, um sich öffentlich Gehör zu verschaffen.“ (Traude Ebermann, S.245).
Ich wünsche mir, dass dieses Buch die ihm gebührende Resonanz findet und lege es besonders allen BeraterInnen, PsychotherapeutInnen und AusbildnerInnen ans Herz!
MAG.a RUTH BOESCH-PAULITSCH