„Männer und Frauen sind politische Kategorien und keine natürlichen Tatsachen.“ Monique Wittig
„Feministische Psychotherapien wollen nicht Fürsorgestationen seelischen Elends sein, sondern Aufklärungsräume, Kritik- und Gegenentwürfe“ Christina Thürmer-Rohr
Feministische Psychotherapie setzt der Pathologisierung von Frauen die Politisierung individueller Problemlagen entgegen. Engagierte Psychotherapie ist kein Rückzug in die Innerlichkeit, keine apolitische Reparaturwerkstätte, sondern will eine kritische Perspektive im Sinne gesellschaftlicher Verantwortung bewahren. Gefordert ist die Selbstreflexion unserer eigenen normativen Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit als Berater_innen und Therapeut_innen. Dies mit dem Ziel, nicht nur die bestehende Geschlechterordnung zu reproduzieren, sondern den Blick jenseits der Entweder-Oder-Dichotomie zu erweitern. Dazu ist es notwendig, unsere impliziten normativen Vorstellungen davon, was eine Frau oder einen Mann ausmacht, explizit zu machen, zur Sprache zu bringen und damit verhandelbar zu machen. Das Einbeziehen gesellschaftlicher und kultureller Entstehungsbedingungen von Erkrankungen ist dabei ebenso notwendig wie die Erweiterung individuum- und familienzentrierter Therapiekonzepte um die soziale Dimension der Normen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Ziel feministischer Psychotherapie und Beratungsarbeit ist nicht die bloße Symptombeseitigung und das Funktionieren im bestehenden System, sondern die Erweiterung von Lebens- und Handlungsmöglichkeiten.
Angelika Grubner bringt die dringend notwendige politische Komponente in ganz fundamentaler Weise in die Psychotherapie ein. Sie lädt Psychotherapeut_innen ein zur kritischen Selbstreflexion über eigene Theorie(n) und Praxis. Dieses Werk ist eine Bereicherung sowohl für die feministische Theorie, die anhand von Erzählungen aus der therapeutischen Praxis lebendig und überprüfbar wird, als auch für Psychotherapie, die anhand aktueller feministischer Debatten kritisch reflektiert wird. Ein neuer, neugieriger Blick und eine Haltung des „offenen Gender“ eröffnet Perspektiven und erweitert Handlungsmöglichkeiten. Wir können unser Geschlecht immer wieder neu erzählen.
Der Anspruch der Autorin ist es, Psychotherapie als politische Praxis sichtbar und wirksam zu machen, die zum Abbau gesellschaftlicher Ungleichheiten und mehr Freiheit in der kreativen Geschlechtergestaltung beiträgt. Neben der Klarheit der Argumentation und dem gut strukturierten Aufbau ist die konsequente geschlechtersensible sprachliche Gestaltung eine erfrischende Wohltat.
Fazit: Eine gelungene Verbindung von Judith Butlers Dekonstruktivismus und narrativer systemischer Psychotherapie. Eine beeindruckende Herausforderung für die Psychotherapie als emanzipatorische Praxis, die in die Ausbildungscurricula Eingang finden soll.
BETTINA ZEHETNER