Freiheit im Schreiben, Sprechen, Denken und Tun – Wege, Ziele und neue Perspektiven
Der neue Band des Teams von Frauen* beraten Frauen*, herausgegeben von Bettina Zehetner und Karin Macke, umfasst zahlreiche Perspektiven auf Freiheit und Feminismen. Der Anlass für den Band ist ein festlicher: 40 Jahre nahezu unermüdlich wirkende Beratungstätigkeit und frauenpolitische Aktivitäten im Team von Frauen beraten Frauen. Dies führt unter anderem auch dazu, dass die Generationenfrage im feministischen Diskurs und im Denken von individueller Freiheit in den facettenreichen Beiträgen nicht ausgespart bleibt.
Die Gliederung des Bandes ist im Sinne einer „Leseanleitung“ sehr praktikabel angelegt, als Orientierungshilfe für feministische Leser*innen (der beigefügte Stern hat sich auch im Namen und den Schreibgepflogenheiten des Teams von Frauen* beraten Frauen* durchgesetzt). Die Kapitel sind nach einerEinleitung von Bettina Zehetner und Karin Macke wie folgt betitelt: Philosophischer Blick, feministisch-historischer Blick, Außenblick auf Frauen* beraten Frauen*, politischer Blick, beraterischer Blick, therapeutischer Blick, literarischer Blick.
Der gehaltvolle Band ist tendenziell kein Buch, das mehrheitlich von vorne nach hinten gelesen werden wird, sondern ist als reichhaltige Fülle von Lese- und Denkangeboten zu sehen. Leser*innen werden ihn – so die Vermutung – immer wieder zur Hand nehmen, um die einzelnen Texte und Kapitel nach und nach für sich zu erschließen.
Geboten werden Erfahrungswerte aus der 40-jährigen Beratungstätigkeit und frauenpolitischen Praxis eines multiprofessionellen Teams (vulgo „Tausendsassas“ im positivsten aller Sinne). Die breite Ausbildungspalette des Teams und der Autor*innen des Bandes spiegelt sich auch in den ausgewählten Kapiteln wider, sowie in den multiperspektivischen Blicken auf Freiheit und Feminismen in den Texten, die feministische Theorien und frauenpolitische (Beratungs-)Praxis reflektieren, u.a. im aufrührerischen Text von Bettina Zehetner zu „Thereis a Pussy Riot insideyou!“. Von der befreienden Wirkung des Schreibens berichtet Karin Macke in ihrem Text „Die Gedanken sind frei. Die Freiheit im Denken, Lesen undSchreiben“.
Dem literarischen Kapitel haftet die Schwere weiblicher Rollennormative an, die jedoch einerseits im Schreiben darüber, sowie andererseits in inhaltlichen Aufbrüchen erweitert und gebrochen werden – kollektiv in der Grauenfruppe, deren Name Postulat ist!– individuell im Text „Adieu Tristesse“ von Karin Rick. Es ist kein Zufall, dass jene literarischen Texte, die (Groß)Mutterschaft berühren und thematisieren, eindeutig die „schwerere Kost“ im Ringen um Freiheit und Feminismen darstellen (Elfriede Hammerl, Gertraud Klemm). Doch auch die weibliche Position in Kunst und Kultur (Elfriede Jelinek), in geografischer Positionierung(Margit Schreiner), im (Er)Ringen von Würde und Freiheit (Marlene Streeruwitz) zeigen deutliche Hemmschwellen und nachhaltige Hürden einer weiblichen Subjektsetzung und (Selbst-)Ermächtigung auf.
Es geht eindeutig um eine andere Freiheit als um jene, die vor Dekaden von männlichen Politikern freiheitlicher Parteien, gemeint war, dieals „Die Freiheit, die ich meine“ politisch in Österreich reüssieren konnte.
Gleichwohl das Denken und Schreiben zu undvon Freiheit und Feminismen bis heute „Altlasten“ im Sinne von aktualisierter, feministischer Aufarbeitung und individueller sowie kollektiver (Biografie-)Arbeit in sich birgt (vgl. auch Birge Krondorfer zu den „Schranken der Demokratie – beschränkte Solidarität. Ein Essay zur Bedingtheit der Parteilichkeit“), so gibt es definitiv keinen Weg zurück zu geschlechtsspezifischen Rollennormativen, die Frauen an Haus (Wohnung) und Herd (Mikrowelle, Catering) binden wollen. EineIronie des Schicksals ist, dass die Präsentation des im April 2020 erschienenen Bandes durch den Ausbruch der Covid19-Virus-Krise von Mai 2020 auf 1. Dezember 2020 um 19 Uhrverschoben werden musste, mit einiger Verspätung wird diese wie geplant in den Räumen von Frauen* beraten Frauen* in der Seitenstettengasse 5/7, 1010 Wien (barrierefreier Zugang) stattfinden.
Bis dahin viel Freiheit im Schreiben, Denken und Lesen: Ad multos annos!
Für alle, die nicht bis zum 1. Dezember warten wollen, gibt es das gehaltvolle Buch für laue Sommer-, kühle Herbst- und kalte Winterabende und auch -tage bereits zu lesen – die Buchhandlung Chicklit stellt per Post oder Fahrrad gerne zu 1010 Wien, http://chicklit.at/).
GERLINDE MAURER