Gerlinde Mauerer (Hg.in)

Frauengesundheit in Theorie und Praxis

Feministische Perspektiven in den Gesundheitswissenschaften

Die Philosophin und Soziologin Gerlinde Mauerer bietet mit diesem spannenden und vielfältigen Sammelband einen guten Überblick über die aktuelle feministische Gesundheitsforschung. Dieses Werk ist mit seiner ausführlichen Literaturliste sowohl für EinsteigerInnen als auch zur vertiefenden Diskussion sehr empfehlenswert!

Die von den Autorinnen eingeflochtenen persönlichen Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit dem so viele Lebensbereiche berührenden Themenkomplex Gesundheit und Geschlecht machen dieses Werk sehr gut lesbar – bin hin zum tatsächlichen Vergnügen am Lesen!

Einige Artikel möchte ich besonders hervorheben:
Sara Ahmed führt in ihrem Text „Spassverderberinnen: Feminismus und die Geschichte des Glücklichseins“ die häufig an unterdrückte Menschen gestellte Anforderung, lächeln und fröhlich sein zu sollen, anhand feministisch-kritischer Störungen fröhlicher Tischgesellschaften aus: „Das anwesende feministische Subjekt verdirbt den anderen also die Stimmung, und zwar nicht nur deshalb, weil sie über unerfreuliche Themen wir Sexismus spricht, sondern auch, weil sie enthüllt, wie das Gefühl des Glücklichseins aufrechterhalten wird, nämlich durch die Auslöschung aller Anzeichen von Unstimmigkeiten. (…) Feministinnen sind vielleicht die Fremden in der Tischgesellschaft des Glücks.“ (68) und erinnert an das von Shulamith Firestone 1970 vorgeschlagene „Lächel-Embargo“ als den Mainstream höchst irritierende und wirksame Streikmethode zur Befreiung von Frauen aus unzumutbaren Verhältnissen. „Es kann Spass machen, den anderen den Spass zu verderben.“ (80)
Birge Krondorfer verknüpft in ihrem Text „Gesundheit und Moderne Frauen. Notate zum Körperregime“ philosophische Grundlagen zum Thema mit treffenden Zitaten aus Elfriede Jelineks Theaterstück „Krankheit und Moderne Frauen“ und einer kritisch-sarkastischen Darstellung am eigenen Leib erfahrener Disziplinierungsversuche durch feministische Freundinnen, die in ihrer neuen Anti-RaucherInnen-Haltung genau den früher in Frage gestellten Herrschafts- und Mainstream-Diskurs vertreten: „Weibliche Selbstbestimmung wäre also heute der Zwang zur gesunden Selbstregierung um fit für andere zu bleiben – als Schönheit-im-Bild, als Gebär- und Erwerbsleib, als Fürsorgekörper“ (142)
Die Vielfalt der Stimmen im Diskurs um Gesundheit und Geschlecht vermittelt anschaulich das Transkript der Eröffnungsveranstaltung „Was Frauen gut tut: Frauenpolitische Praxis, Frauengesundheitsforschung, Feministische Theorie“ vom 18.4.2008 im Verein Frauenhetz, in der Phänomene wie Healthismus, backlash, Entsolidarisierung, Zunahme von Diagnosen und „schönheitschirurgischen“ Eingriffen.
Die Herausgeberin selbst liefert in ihrem Artikel „Weiblichkeit und (Vor-)Sorge tragen: Wechselwirkungen zwischen Frauen- und Krankheitsbildern“ eine konstruktiv-kritische Würdigung der Komplexität von Vor-Sorgemaßnahmen und Vorsorge-Diskursen im Spannungsfeld zwischen (Selbst-)Disziplinierung und Empowerment.
Abschließend beschreibt Gerlinde Mauerer in ihrem Nachwort in Gedenken an Gerburg Treusch-Dieters Studio zum „Drama und Trauma weiblicher Verhaltensmuster“ sehr lebendig das zündende Feuer der Erkenntnis, das Gerburg Treusch-Dieter durch Inhalt und Art ihres Vortrags immer wieder zu entfachen vermochte und Zuhörende dadurch zum eigenen kreativen und ketzerischen Denken anstiftete.

BETTINA ZEHETNER

Frauengesundheit in Theorie und Praxis. Feministische Perspektiven in den Gesundheitswissenschaften

Bielefeld: Transcript-Verlag, 2010