„Wie ein grünes Schaf auf einer weißen Herde“
Nonkonformismus kann Ihr Leben bereichern
Etwa eine von 2000 geborenen Personen ist trans*, empfindet also das ihr bei der Geburt zugeordnete Geschlecht als nicht stimmig mit ihrem Sein. Intersexualität – körperliche Geschlechtsuneindeutigkeit bzw. weibliche und männliche körperliche Geschlechtsmerkmale – wird deutschlandweit bei etwa 1.700 Kindern pro Jahr diagnostiziert und immer noch sehr häufig kurz nach der Geburt durch gesundheitsgefährdende und Schmerzen verursachende Operationen „vereindeutigt“, ohne die Zustimmung der noch nicht zustimmungsfähigen Person einzuholen. (Zahlen laut Deutsch, M. 2016: Making It Count. Improving Estimates of the Size of Transgender and Gender Nonconforming Population. LGBT Health 3 (3), 181-185.)
Trans* und intergeschlechtliche Menschen haben Empowerment-Strukturen initiiert und sprechen in Gremien und Initiativen, in denen vorher nur über sie gesprochen und entschieden wurde. Selbsthilfe-Aktivitäten und trans*-sensible Beratungsangebote bieten wichtige Unterstützung. Um die vielfältigen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung zu benennen, sind auch auf politischer Ebene Interventionen erforderlich. Anregende Impulse für all diese Bereiche finden sich in den Beiträgen dieses Buches.
Der Sammelband bietet Einblicke in die Peer-to-Peer-Beratung von und für trans*-Personen, in mögliche Umgangsweisen mit dem Thema Trans* in der Bildungsarbeit, der Kinder- und Jugendhilfe, sowie im Pflege- und Gesundheitsbereich.
Im Beitrag „Trans*Körper*Wahrnehmung. Auf die Haltung kommt es an!“ geht es um Vor- und Nachbereitung einer Mastektomie (Brustentfernung) mit ganz konkreten Körper- und Imaginationsübungen.
Besonders gelungen erscheint mir der Artikel „Mehr Akzeptanz! Wünsche und Empfehlungen junger trans*Menschen in Bezug auf ihre Lebenssituation“ von Erik Meyer und Arn T. Sauer. Die Studie „Wie ein grünes Schaf auf einer weißen Herde“ fragte trans*idente Jugendliche ganz konkret nach ihren Wünschen, Bedürfnissen und Forderungen. Herausgekommen ist ein klarer Katalog an Veränderungsbedarf: Bewusstseinsarbeit und bewusste, gender-, trans*-sensible Haltung in der Pädagogik vom Kindergarten über Volksschule bis zu höheren Schulstufen, um der vorherrschenden Ignoranz, dem Mobbing und der Ausgrenzung klar entgegenzutreten. Die Geschichten der Beschämung der Jugendlichen sind berührend und machen wütend, eine Wut, die politisch und aktivistisch sinnvollen Ausdruck finden kann. Ebenso dringend gewünscht ist eine nicht-pathologisierende Haltung im medizinischen und psychologischen Bereich. Allzu oft wird vorwurfsvoll gefragt, worin denn diese „Erkrankung“ begründet wäre, nicht konform mit den Erwartungen ans zugewiesene Geschlecht leben zu wollen, ohne Raum für vielfältige Lebensweisen und Kombinationen von sex, gender und Begehren zu bieten. Akzeptanz und Respekt, nachfragen statt überstülpen, das eigene „Wissen“ auch mal einklammern können und das Gegenüber sein lassen, erzählen lassen, wünschen lassen. All das und noch allerhand mehr kann dazu beitragen, die Selbstbestimmungsfähigkeit und Handlungsfreiheit von trans*Jugendlichen zu stärken, einer Gruppe, die aufgrund von Unwissen, Unverständnis und Gewalt überdurchschnittlich stark suizidgefährdet ist.
Michaela Katzer thematisiert sexuelle Grenzverletzungen im Bereich von Trans*- und Intergeschlechtlichkeit, über die noch wenig gesprochen wird. Die für das Jahr 2022 angekündigte neue und revidierte Ausgabe des internationalen Klassifikationssystems ICD11 (WHO 2018) in Deutschland soll „Geschlechtsinkongruenz“ nicht mehr als psychische Erkrankung auffassen – ein Grund für vorsichtigen Optimismus.
Und schließlich ein Essay „Von Menschen und inter*Mäusen“ zu den Herausforderungen im Bereich der Biotechnologie mit der Botschaft: „Das Universum ist nicht nur queerer, als wir annehmen, sondern es ist queerer, als wir überhaupt annehmen können.“ (Haldane: Possible Worlds and Other Essays. London 1928).
BETTINA ZEHETNER