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Buchcover Gertraud Klemm:

Einzeller.
Wien: Kremayr & Scheriau 2023
https://www.kremayr-scheriau.at/

Der Feminismus, in tausend Stücke zersprengt und
das ganz banale Private, das hochpolitisch ist


Einzeller ist ein wichtiges und wütendes Buch. Es zeigt schmerzhaft die Gräben auf, die zwischen den unterschiedlichen feministischen Agenden unüberbrückbar scheinen, Die Figuren geraten etwas holzschnittartig-reduziert, die geneigte Leserin wünscht sich mehr.

Simone, „den Altfeministinnen-Geruch wie ein Dinosaurierparfum“ aufgetragen, versteht sich als „Altlinke“, kompetent und streng in ihrer feministischen Haltung, dominant, wortreich belehrend, hart und bitter („bitter macht lustig“) - eine starke Frau, nicht unbedingt eine Sympathieträgerin, aber das Gefallen- und Geliebtwerdenwollen hat Simone abgelegt. Da kultiviert sie lieber ihre lebendige Wut: „Jeder Text ein Minenfeld, an jeder Ecke die neuen Moralistinnen, die einem an den Lippen hingen und jedem falschen Wort auflauerten und Aussagen auf Mikroaggressionen prüften. Die einem bis in die Kindestage nachrecherchierten, ob eh immer alles politisch korrekt gewesen war. Ob man eh immer schon gegendert und eh nie ein Zigeunerschnitzel bestellt hat. Aber wenn sie es mit Humor angehen, können sie sich auch mit der Konkurrenz verbünden“ (S. 34). Doch aus dem gewünschten humorvollen Bündnis wird leider nichts, zu starr sind die im Reality-Unterhaltungsformat aufeinander gehetzten Positionen.
Neben Simone verblassen neben den angeblich nur um „politische Korrektheit“ und social media-Aufmerksamkeit bemühten jungen Feministinnen, ebenso wie die anderen drei Mitbewohnerinnen außer Lilly, der die feministischen Debatten zu anstrengend sind. Sie stolpert in eine Affäre mit dem Mitbewohner ihres Waldorf-geschulten Sozialarbeiter-Freundes, sie wird schwanger und vom Kindesvater geschlagen. Lilly scheint wie fast alle jungen Frauen aus Simones Perspektive naiv, die Option der Abtreibung will sie nicht nützen, sie hofft auf ein Leben mit ihrem Kind allein, der Kindesvater lässt sich allerdings nicht so leicht abschütteln, sich aus seiner Kontrolle zu befreien bräuchte mehr Strategie als das erhoffte Hinausschieben des Hochzeitstermins.
Aus der Sicht der beiden Protagonistinnen wird vom Experiment einer feministischen Wohngemeinschaft erzählt, die in einem Reality-Talkshow-Format im österreichischen Fernsehen auf drei Gästinnen trifft, eine zum Islam konvertierte Frau, die ihr Kopftuch und ihren Glauben als Freiheit propagiert, eine Prostituierte, die ihre Sexarbeit gerne macht und sich gegen die Kritik Frauenkörper als Ware verwehrt, weil es doch nur in wenigen Ausnahmefällen gewaltvoll im Gewerbe zuginge und eine coole Transgender Person, die die lästige Geschlechterbinarität schon längst überwunden haben will. Die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, tatsächlich inhaltlich miteinander zu sprechen und sich stattdessen an schablonenhaften Positionen abzuarbeiten erzeugt nicht nur bei Simone ordentlichen Frust, sondern auch bei der Leserin. Welche Energie, welche produktive Wut bräuchte es, um gemeinsam gegen Frauenfeindlichkeit und Benachteiligung vorzugehen?
Simone, polemisch zu Lilly: „So unsolidarisch wie wir können Männer gar nicht agieren! Vielleicht streiten sie über Steuersätze oder den Namen des Propheten. Aber darüber, dass Frauen sie gratis bedienen, weniger Kohle kriegen sollen und nicht an die Macht dürfen, sind sie sich einig. Keiner von denen verbrennt sich die Finger mit Forderungen, von denen er nichts hat!“ (S. 199). „Die Frauen als einheitliche Gruppierung jedenfalls waren zu vergessen. Das haben sie wieder einmal bewiesen. Sie lassen sich eher mit ein paar Almosen ködern, als dass sie sich zusammentun würden, um Wertschätzung auf Augenhöhe einzufordern. Anstatt auf die Straße zu gehen, kuscheln sie sich doch lieber an ihre Männer und raffen ihre Kinder und ihr gutes altes Rollenverständnis an sich. Den Männern bleibt immer das Patriarchat, das sie eint. Das Geld und die Macht als universaler Klebstoff. Die Frauen halten alles andere zusammen, mit ihrer Liebe und Weichheit. Sie selbst hält nichts zusammen, nichts, was sich gegen das Patriarchat halten ließe. Von dem fühlen sie sich dann abgeholt und vertreten, wenn ihnen Türen aufgehalten und sie „beschützt“ werden – vor den „anderen“.(S. 219).
Die Erschöpfung angesichts der vom TV inszenierten „Zickenkriege“ zwischen den unvereinbaren Positionen ist nicht verwunderlich und die „Auszeit“, die sich die müde Protagonistin nach einem desaströsen Wahlausgang gönnt (eine rechtskonservative Mehrheit, die gleich beginnt, das Recht auf Abtreibung in Frage zu stellen) erfrischt auch die Leserin. Interessanterweise betreibt Simone nun die Aneignung des von der trans*community gehypten Testosteron und genießt, wie diese Pillen sie immer weniger empathisch machen. „Sie versteht jetzt diese jungen Frauen, die es satt haben, Frauen zu werden und Transmänner sein wollen. Wie großartig es sein muss, jeden Tag ein bisschen männlicher zu werden. Dieses Kümmern hinter sich zu lasse.“ (S. 248).

Einzeller ist ein starkes Plädoyer für Frauensolidarität, für die Motivation über Differenzen hinweg gemeinsam zu kämpfen für Rechte und Ressourcen, für Gewaltschutz, für die Schließung des Gender Pay Gap, für gerechte Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit und Mental Load, für das Recht auf Abtreibung. Allein die beschriebene Realität lässt keine Zuversicht aufkommen. Mit einem Gewaltakt (durch einen der Hate-Mail-Absender?) findet das Buch ein ernüchterndes Ende, einmal noch Simones Stimme: „Das Patriarchat ist ein Krieg der Männer gegen das Weibliche. Und ein Kriegsende gehört gefeiert. Das haben wir verabsäumt. Wir haben nichts in Stein gehauen, nicht einmal irgendetwas Heroisches auf Papier geschrieben. Keine Denkmäler, die uns an die Wunden erinnern, an die Verluste oder an die Leiden. Keine Büsten und Statuen von Heldinnen, an die wir unseren Dank richten dürfen und unsere Bitten. Die uns ermahnen, wachsam zu bleiben und widerständig zu werden, wenn die Schwerkraft des Patriarchats wieder spürbar wird – wirtschaftlich, kulturell, privat, religiös, reproduktionsmedizinisch. Da war kein Lärm, der uns vergegenwärtigt hat, dass so ein Krieg nie wirklich aus ist, sondern sich nur schlafen gelegt hat. Da war nur eine trügerische Stille und weit und breit nichts Greifbares. Keine Opferstelen, an denen wir uns an die ganz normalen Gräueltaten erinnern dürfen. Kein Narrativ, das in Schulbüchern die Jungen ganzheitlich bildet. Keine Symposien, die die Geschichte der Frauenbewegung wieder und wieder durchkauen und vor den Anfängen mahnen. So geht man doch nicht mit Kriegen um! Man überlässt sie nicht dem Vergessen. Sonst passiert das, was wir jetzt haben: die alte Scheiße, die wieder und wieder ausgelöffelt werden muss.“ (S. 307)
Was wir stattdessen dringend brauchen gegen den gegenwärtigen antifeministischen backlash und die Spaltungen innerhalb der feministischen Bewegung: „Ein solidarisches Gedächtnis und kein gespaltenes, das sich gegenseitig die Wahrheit streitig macht.“ (S. 308)

Ein Buch, ein Auftrag.

Bettina Zehetner

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